Sehr geehrte Programmverantwortliche von KiKA!
Mit Entsetzen haben wir die Ankündigung der Sendung "Schau in meine Welt
- Tahsins Beschneidungsfest" am 19.01.2014 um 13:30 zur Kenntnis genommen.
Wir schreiben Ihnen als Mitglieder des Facharbeitskreises
Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. Dort organisieren sich Männer,
die von einer im Kindesalter erfolgten Vorhautamputation negativ
betroffen sind. Das bedeutet, dass sie noch heute, als längst
Erwachsene, unter den schwerwiegenden körperlichen und seelischen Folgen
leiden, die die Amputation von durchschnittlich 50% des erogenen Gewebes
am Penis mit sich bringen kann.
In Ihrer Sendungsankündigung erkennen wir die typische Propaganda, wie
ein Junge durch sein Umfeld manipuliert und die Operation ihm
schmackhaft gemacht werden soll. Die Aussicht auf Geld und Geschenke
spielt dabei eine große Rolle. Nicht auszublenden sind aber auch subtile
Drohungen von sozialem Ausschluss wie z.B. "Alle anderen haben das auch
überstanden, Du wirst doch nicht der erste sein, der es nicht schafft" -
die ihre Wirkungen nicht verfehlen, denn Kinder sind in diesem Alter
komplett ihrem Umfeld ausgeliefert. Dass diese Verletzung an der
intimsten Stelle unseres Körpers aus dem uns geliebten engsten
familiären Umfeld erfolgte, hat einige von uns in schwerste Konflikte
und jahrelange innere Immigration getrieben. Wir fühlen uns verraten,
denn unser kindliches Vertrauen wurde missbraucht.
Wir fühlen mit Tahsin mit, wenn er wie beschrieben "voller Vorfreude"
auf seine "Beschneidung" hinfiebert - auch wir haben das getan, haben
den Erwachsenen geglaubt, dass uns nur Gutes widerfahren würde. Die
furchtbare Erkenntnis kam anschließend. Dass Tahsin als Elfjähriger noch
gar nicht begreifen kann, was eigentlich mit ihm geschieht, schildern
Sie in Ihrer Pressemitteilung durchaus ("... obwohl er nicht so genau
weiß, was dann eigentlich anders sein wird") - nur befremdet sehr, dass
Sie dies in keiner Weise zu hinterfragen scheinen.
Dazu sagt Jonathan Friedman, Mitglied des Facharbeitskreises
Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. und in den USA wohnhaft: "Als
Opfer religiöser Zwangsbeschneidung, das auch als Erwachsener unter den
Folgen leidet, betrachte ich es als abstoßend, dass das Deutsche
Kinderfernsehen beiläufig eine rituelle Zwangsbeschneidung feiert."
In den Medien ist das Thema Vorhautamputationen an Jungen, oft
verniedlichend "Beschneidung" genannt, immer wieder präsent. Vielfach
ist von Kinderärzten und Menschenrechtlern auf die möglichen Folgen
hingewiesen worden. Beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte
wurden allein zwischen 2010 und 2012 über 1800 Komplikationsfälle
aktenkundig. Auch dürfte Ihrer Redaktion die jüngste mediale
Berichterstattung zu schweren Unfällen und Todesfällen im Zusammenhang
mit rituellen Vorhautamputationen in Südafrika, Kanada und Israel
bekannt sein. Uns erschüttert, dass Sie diese Aspekte in Ihrer
Ankündigung komplett ausblenden. Damit verletzen Sie unserer Ansicht
Ihren Bildungsauftrag als unabhängiges staatliches Medium.
Dieser sollte unserer Ansicht u.a. zum Ziel haben, Kinder über ihre
gesetzlich zugesicherten Rechte auf eine gewaltfreie Erziehung sowie
körperliche und seelische Unversehrtheit aufzuklären – und nicht die
Verletzung dieser Rechte durch Erwachsene zu verherrlichen.
Alexander Bachl, Sprecher des Facharbeitskreises
Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V., schreibt zu Ihrer Ankündigung:
"'Jeder muslimische Junge muss beschnitten werden, denn so verlangt es
die religiöse Tradition.' Dieses Los fiel auch auf mich, jedoch war und
bin ich mit diesem Ereignis sehr unglücklich. Den Kindern werden die
wahren lebenslangen medizinischen und sexuellen Folgen und Schmerzen oft
verheimlicht. Mit Unwahrheiten und Beschönigungen wird ihnen die
irreversible Operation aufgedrängt. Unter Androhung von Strafe 'erst
wenn ich beschnitten bin, dann bin ich ein echter Mann' oder Bestechung
'[...] und Tahsin wird auf einem Thron sitzen und viele viele Geschenke
bekommen' werden die Kinder manipuliert. Ich fordere daher von jeder
Institution, die sich selber als für Kinder bildungs- und
wissensvermittelnd versteht, wahrheitsgemäße und kindgerechte
Informationen zu publizieren."
Wir erlauben auf den aktuellen wissenschaftlichen und
menschenrechtlichen Diskurs zu diesem Thema hinzuweisen: am 12.12. fand
anlässlich des ersten Jahrestages des Gesetzes, das Vorhautamputationen
aus jeglichem Grunde erlaubt hat und Jungen damit in dieser Frage
lebenslang rechtlos stellt, eine Pressekonferenz im Haus der
Bundespressekonferenz in Berlin statt. Die Veranstalter waren sieben
Kinderrechts- und Ärzteverbänden, darunter neben uns TERRE DES FEMMES -
Menschenrechte für die Frau e.V., (I)NTACT, pro familia Niedersachsen,
der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Deutsche Akademie für
Kinder und Jugendmedizin und die Deutsche Gesellschaft für
Kinderchirurgie. Zu diesem Schreiben erhalten Sie die Pressemitteilung
dazu sowie eine Liste mit Links zu Pressemeldungen.
Weiterhin drängt sich uns der Eindruck auf, dass Ihnen nicht klar zu
sein scheint, was Sie mit derart einseitiger Berichterstattung unter
Ausklammerung wissenschaftlicher und ethischer Erkenntnisse bei
Betroffenen auslösen, die ihr Leben lang unter den möglichen
schwerwiegenden Folgen einer Zwangsbeschneidung leiden.
Önder Özgeday, Mitglied des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener
im MOGiS e.V., schreibt zu seiner eigenen Zwangsbeschneidung im Alter
von zehn Jahren: "Ich protestiere dagegen, dass KiKA Gewalt gegen Kinder
kind- und mediengerecht aufbereitet und damit das Leiden unzähliger
Betroffener verhöhnt. Eine so verharmlosende Berichterstattung bewirkt,
dass betroffene Jungen und Männer über ihr Leiden schweigen, weil die
Gesellschaft ihnen aufgrund von Unwissenheit und Falschinformationen
jegliche Empathie verweigert. Es ist ein Tabuthema. Auch ich trage
schwere seelische sowie körperliche Schäden mit mir. Ein Verbrechen ist
an meiner Person begangen worden in einem Alter, in dem ich schutzlos
war. Das verstieß gegen mein Recht auf Selbstbestimmung und körperliche
Unversehrtheit. Es geht nicht um Religionsfreiheit - es geht um
Menschenrechte. Denn: Es gibt keine muslimischen Kinder, jüdischen
Kinder, katholischen Kinder etc. Es gibt nur KINDER. Hinzu kommt, dass
weibliche Kinder geschützt sind vor Eingriffen, männliche jedoch nicht.
Die deutsche Justiz hat mich nicht geschützt."
Tayfun Aksoy, ebenfalls Mitglied des Facharbeitskreises und aus einem
muslimischen Kulturkreis, richtet einen Appell an KiKA: “Ich bin mehr
als enttäuscht, dass gerade in einem Kindermedium das Teilabschneiden
von Kindergenitalien als Normalität und Einblick in Kulturen beworben
wird. Ich leide seit dreißig Jahren sehr unter den Folgen meiner
muslimischen 'Beschneidung'. Es ist Zeit, mit Kinder'beschneidungen'
aufzuhören und sie kritisch als das zu betrachten, was sie sind. Helfen
Sie mit, Kinder unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Religion in
ihrem Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung zu stärken!”
Für weitere Informationen und einen Austausch stehen wir Ihnen gerne zur
Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen verbleiben für den Facharbeitskreis
Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V.
Alexander Mahmud Bachl
Tayfun Aksoy
Önder Özgeday
Jonathan Friedman