Folgende Stellungnahme hat Gabriele GAwlich, die 2. Vorsitzende von MOGiS e. V. - Eine Stimme für Betroffene, heute (13.09.2012) an die Geschäftsstelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs übersandt:
Offen gesagt, bin ich etwas enttäuscht über das Formular. Es spiegelt nicht im mindesten das wider, was in den Sitzungen der UAG „Hilfen“ besprochen wurde. Ich war als Opfervertreterin Teilnehmerin dieser Sitzungen.
Der Einfachhalt halber werde ich meine Einwände nicht gendern, meine Vorschläge gelten für beiderlei Geschlecht.
So wie sich das vorgelegte Formular darstellt, erscheint es, als ob bei seiner Entwicklung die Bedürfnisse des Versorgungsamtes im Mittelpunkt standen. Ich kann das zwar nachvollziehen, aber bürgerfreundlich ist das nicht. Für einen Betroffenen von sexueller Gewalt in der Kindheit bzw. Jugend ist es kaum nutzbar, ohne sich einer Retraumatisierung auszusetzen. Dies sollte verhindert werden.
Als erstes ist zu bemängeln, dass sich das Formular in „freiwillige“ (z. B. Telefon-Nr. und E-Mail-Adresse) und nicht-freiwillige Angaben unterteilt. Genau genommen sind ja alle Angaben im Formular freiwillig. Es gibt keinen Zwang zu einer Antragstellung (dann gibt es natürlich auch keine Leistungen aus dem OEG). Aber ein Antrag nach dem OEG kann sogar formlos erfolgen.
Eine solche Zweiteilung erhöht den Druck auf den Antragsteller unnötigerweise. Missbrauchsbetroffene reagieren auf Zwang bzw. das Gefühl einer Drohung höchst sensibel. Der Zweck der Schaffung eines neuen Formulars ist, die Anzahl der Anträge nach OEG zu erhöhen, nicht zu verringern.
Angaben, die zur Entscheidungsfindung nicht benötigt werden, sondern den Sachbearbeiter in die Lage versetzen sollen, kurzfristig und unbürokratisch zu handeln, sollten mit einem kurzen Satz auch so gekennzeichnet werden. Beispiel: „Diese Angaben erfüllen ausschließlich den Zweck, Sie schnell und unbürokratisch für Nachfragen zu erreichen. Die Mitteilung oder Nicht-Mitteilung der Angaben haben keinen Einfluss auf die Entscheidung zur Leistung nach OEG. Diese Daten werden nicht an Dritte weitergegeben.“
Die Erklärung zur Datenweitergabe gehört m. M. an den Anfang (bzw. auf das Vorblatt) des Antrages, damit sie vor dem Ausfüllen gelesen wird. Außerdem ist eine Datenschutzerklärung erforderlich.
Für Missbrauchsbetroffene ist Datenschutz existenziell. Es gibt Beispiele dafür, dass, nachdem Daten von Betroffenen unbedacht weitergegeben wurden, diese von Tätern unter Druck gesetzt wurden. Einem Antragsteller muss das Gefühl vermittelt werden, dass so etwas nicht passieren kann.
Eventuell kann man den Bundesbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar, zurate ziehen, auch weil mit dem Formular m. M. viele irrelevante Daten erfragt werden. Er kann beim Thema Datensparsamkeit helfen.
Der Hinweis auf die „Mitwirkungspflicht“ des Antragstellers ist m. M. an der Stelle, wo es im Formular (im Vorblatt) steht, kontraproduktiv. Auch die Ausdrucksweise sollte geändert werden, da der Hinweis sehr fordernd und bedrohlich wirkt. Es ist unlogisch zu erwarten, dass jemand einen Antrag stellt und nicht mitwirken will. Es könnte ja sein, dass der Antragsteller nicht mitwirken kann. In dem Zusammenhang sollte der Antragsteller darauf hingewiesen werden, dass er nur die Fragen beantworten sollte, die er beantworten kann.
Und weil ich noch beim Vorblatt bin: Es ist unbedingt erforderlich, dass der Hinweis auf Hilfe bei der Antragstellung weiter ausgearbeitet wird. Ein Antragsteller braucht hier nicht nur Floskeln, sondern konkrete Ansprechpartner, Namen, Adressen, Telefon-Nr., URL's, und den Hinweis, dass dies für ihn kostenlos ist.
Inhaltlich sollten in einen Antrag folgende Daten-Kategorien erfragt werden:
a) Daten, die zur organisatorischen Verarbeitung notwendig sind
b) Daten, die zur Entscheidungsfindung notwendig sind
c) Daten, die für Nebenaufgaben notwendig sind (diese sind dann aber auch so zu kennzeichnen)
So kategorisiert, erscheinen viele abgefragte Daten irrelevant und sollten m. M. im Antrag nicht oder so nicht erscheinen.
Komplex I. Angaben zur Person
Frage 1. Auswahlfeld Frau/Mann:
Dies ist weder zu a) noch zu b) erforderlich. Frage nach dem Geschlecht, so es denn überhaupt als erforderlich angesehen wird, kann man an das Ende des Formulars stellen. Dann wird es den Betroffenen nicht unnötig irritieren und seine Antworten beeinflussen (Stichwort „Genderstereotypen“). Man kann es aber auch ganz lassen, der Bearbeiter kann das, falls der Computer das braucht, selber einschätzen und eintragen.
Frage nach Geburtsnamen oder früheren Namen ist weder für a) noch für b) relevant, sollte so nicht erfragt werden. Relevant ist, welchen Namen der Antragsteller jetzt hat und welchen Namen er trug, als die Tat bzw. die Taten geschahen. Dies sollte so verbalisiert werden.
Frage 2. Geburtsdatum/Geburtsort:
Der Geburtsort ist weder zu a) noch zu b) relevant. Relevant ist, an wo der Antragsteller sich aufhielt bzw. wohnte als die Tat/Taten geschehen ist/sind. Die Staatsangehörigkeit wird ohnehin gesondert erfragt.
Telefon-Nr./E-Mail-Adresse – Kategorie c) - siehe meine Ausführungen oben (freundliche Erklärung, wofür das gebraucht wird).
Frage 3. Familienstand:
Dies wird weder für a) noch für b) noch für c) gebraucht, wie auch die Frage nach der Anzahl der Kinder.
Diese Angaben betreffen die Hinterbliebenen eines Opfers, die nach OEG Ansprüche stellen können. Diese können sie aber mit einem gesonderten Formular oder formlos stellen. Die Antwort auf diese Fragen kann für einen Missbrauchsbetroffenen traumatisierend sein. Man sollte darauf verzichten.
Frage 5:
Kopie des modernen deutschen e-Ausweises/Passes ist inzwischen verboten. Das Versorgungsamt sollte keine verbotenen Dokumente einfordern (Peter Schaar fragen). Es gibt andere Möglichkeiten.
Komplex II. Angaben zur Gewalttat
Frage 1. Tatzeit:
Das kann ein Betroffener von sexueller Gewalt in der Kindheit kaum zutreffend beantworten, weil es erstens selten ein einmaliges Ereignis ist, und zweitens die kindliche Erinnerung nicht linear speichert. Darum sollte mindestens ein kurzer Einschub/Satz erscheinen. Beispiel: „Angabe, soweit es Ihnen möglich ist.“
Frage 2. Tatort:
Auch Orte sind für Kinder nur unklar erinnerlich, siehe meine Ausführungen zu Frage 1. Tatzeit.
Frage 3.
Um Leistungen aus dem OEG zu erhalten, ist eine Anzeige nicht zwingend notwendig. Opfer von sexueller Gewalt in der Kindheit haben auch keine Entscheidungsgewalt darüber, ob (falls die Taten überhaupt aufgedeckt werden) Anzeige erstattet wurde. Darauf wurde auch mehrfach in der Arbeitsgruppe „Hilfen“ hingewiesen.
Hier muss unbedingt eine weniger fordernde bzw. weniger bedrohliche Formulierung gefunden werden.
Ich schlage vor, zusätzlich danach zu fragen, ob noch jemand Kenntnis von den Taten erlangt hat, oder ob es andere Hinweise gibt, wie z. B. eigene Tagebuchaufzeichnungen oder alte Krankenhausberichte, usw.
Frage 6. Tathergang:
Es ist einem Betroffenen von sexueller Gewalt in der Kindheit nicht zumutbar, die Taten in allen Einzelheiten zu schildern. Dies würde eine Retraumatisierung zur Folge haben. In der UAG „Hilfen“ wurde vorgeschlagen, verschiedene Ankreuzmöglichkeiten zu schaffen, sodass der Antragsteller nicht selber formulieren muss. Eine ausführliche Schilderung überfordert den Betroffenen und ist eine zu hohe Hürde für die Antragstellung (es geht hierbei um sehr intime und schambesetzte Details).
MOGiS e. V. hat bei seiner Studie so etwas benutzt, falls sie Interesse haben, sind wir gern weiterhin behilflich.
Zum vorletzten Satz des Antrages: Es sollte aus Gründen der Datensparsamkeit darüber nachgedacht werden, ob es relevant ist, wer beim Ausfüllen geholfen hat (für welche meiner o.g. Kategorien ist die Antwort notwendig?). Für einen Missbrauchsbetroffenen kann diese Frage grenzüberschreitend wirken und damit eine Antragstellung verhindern.