Ein Gastkommentar

(Alleine, dass es jetzt schon soweit gekommen ist, dass Holger am Anfang und am Ende so zahlreich seine guten Absichten verdeutlichen muss, um dann seine Bedenken gegen die Sperren äußern zu dürfen, sollte uns Alle sehr nachdenklich machen; Christian)

Viele Artikel zum Thema „Erschwerung des Zugangs zu Kinderpornographie im Internet“ beginnen mit der Klarstellung, daß der Autor der Zeilen selbstverständlich gegen Kinderpornographie ist und der Leser ihn bitte nicht falsch verstehen solle, wenn er, der Autor, die „erschwerenden“ Maßnahmen kritisch hinterfrage. Auch ich spürte ein Unbehagen, als ich meinem ISP die hier aufgeführten Frage mit der Bitte um Beantwortung zusendete. Man will ja nicht in den Ruch der Pädosexualität geraten nur weil man es für sinnvoll hält, gerade bei emotional aufwühlenden Themen besonders auf den Verstand zu setzen und sich der allgemeinen Hysterie zu enthalten.

Gerade schießt mir deshalb auch die Frage durch den Kopf, ob ich das Risiko eingehen solle, diesen Gastkommentar unter einem Pseudonym oder unter meinem richtigen Namen einzureichen. Denn allein der Vorwurf, allein die im Hinterkopf dräuende Vermutung, jemand könne pädosexuelle Neigungen haben wiegt so schwer, daß er das Leben eines Menschen zerstören kann. Sogar wenn der Vorwurf sich als unbegründet herausstellen sollte, ist der Betroffene ruiniert. Vielleicht beginnen deshalb viele Artikel zum Thema mit dem mantraartig hervorgebrachten „Ich bin gegen den Mißbrauch von Kindern, aber...“

Bin ich auch, ich halte jeglichen Kindesmißbrauch für abscheulich. Und ich glaube, daß Zugangserschwernisse kein einziges Kind davor schützen, in einer wie auch immer gearteten Weise mißbraucht zu werden. Allerdings bergen die bis jetzt zu findenden Gesetzesentwürfe ein hohes Risiko, fälschlicherweise pädosexueller Aktivitäten beschuldigt zu werden. Und das mit dem ganzen Rattenschwanz an Folgen wie Jobverlust, Verlust der Familie, des Ansehens, der finanziellen Ressourcen, der sozialen Reputation etc.

Um diesen Gastkommentar zu schreiben, wollte ich die Quelle für die Aussage finden, daß auch solche Websites blockiert werden sollen, über deren Links KiPo nur mittelbar erreichbar ist (Websites also, die auf Websites verweisen, über deren Links KiPo zugänglich ist). Doch wie soll ich das anstellen, welche Suchbegriffe darf ich nutzen? „Kinderpornographie+Link“ könnte strafbar sein, weil es als Suche nach Kinderpornos ausgelegt werden könnte. KiPo zu suchen ist nämlich strafbar. Damit ist es auch strafbar, Material zu suchen, welches die Behauptungen, die als Grundlage des Gesetzes dienen, verifiziert und damit wird Internetnutzern jede Möglichkeit genommen, zu überprüfen, ob das Gesetz Wirkung zeigt und die Anzahl der KiPo-Sites sich verringert.

Meinem ISP stellte ich, der während der 15 oder 16 Jahre seines Onlinelebens nicht einer einzigen kinderpornographischen Darstellung im WWW ansichtig wurde, folgende Fragen um auch dem geringsten Risiko, unter (freilich falschen) Verdacht zu geraten, aus dem Wege gehen zu können:

1. Mit welchen Mitteln wird sichergestellt, daß den Surfern der Zugang tatsächlich nur zu KiPo-Sites erschwert wird?

2. Was kann der Surfer tun, wenn er bemerkt, daß ihm der Zugriff auf eine fälschlicherweise indizierte Website erschwert wird?

3. Welche Auswirkungen wird die Filterung des Datenverkehrs, z. B. durch Deep Packer Inspection (www.kn-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/?em_cnt=87600), auf den Surfkomfort haben? Ist Deep Packet Inspection überhaupt mit dem Fernmeldegesetz vereinbar? (DPI bedeutet, laienhaft ausgedrückt, daß der ISP sich die Inhalte der übertragenen Daten ansieht. In etwa so, wie die Staatssicherheit früher die Westbriefe las und die Westpakete durchsuchte.)

4. Wie erkennt der Surfer überhaupt das ihn ein Link auf eine KiPo-Seite führt, und zwar bevor er ihn anklickt? (Christian: Dazu ein kleines Experiment: Hier klicken!)

5. Wie kann sich der Surfer vor z.B. in iFrames eingebettetem (oder per Javascript im Hintergrund nachgeladenem) illegalem Material schützen?

6. „Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe."
(www.heise.de/newsticker/Bundeskabinett-beschliesst-Gesetzesentwurf-zu-Kinderporno-Sperren--/meldung/136556)
Wie wirkt sich das rechtlich aus? Gibt es technische (oder andere) Möglichkeiten, mit denen sich beweisen ließe, daß eine Handlung (das Anklicken eines Links beispielsweise) unabsichtlich ausgeführt wurde? Wird in dem Zitat eine Beweislastumkehr formuliert?

7. Was ist, wenn sich jemand in mein WLAN hackt und über meinen WLAN-Zugang illegale Inhalte aufruft? Mache ich mich im Sinne der „Mitstörerhaftung“ strafbar?

8. Wer haftet in Internetcafes und öffentlichen Hotspots für den Download illegalen Materials?

9. Haften die Betreiber von TOR-Exitnodes bzw. anderen Proxies, wenn ein User illegale Inhalte über einen solchen Exitnode /Proxy herunterlädt? Müßten Anonymisierungswerkzeuge dann nicht auch verboten werden?

10. Was sieht die Lage bei Rechnern aus, die von mehreren Personen genutzt werden (Eltern und deren Kinder beispielsweise)?

11. Wer haftet, wenn der Rechner zombifiziert wurde und illegales Material versendet oder herunterläd?

12. Wer haftet, wenn auf gecrackten Websites Links zu illegalem Material gepostet werden?

13. „Aufgrund der netzartigen Struktur des World Wide Web sei 'jeder einzelne Link (…) kausal für die Verbreitung krimineller Inhalte, auch wenn diese erst über eine Kette von Links anderer Anbieter erreichbar sind'.“
(www.heise.de/ct/Gericht-Durchsuchung-wegen-mittelbarer-Links-auf-Kinderporno-Sperrliste-rechtmaessig-Update--/news/meldung/135461)
(Christian: obwohl es sich in diesem Falle um einen bekennenden Pädosexuellen handelte, das Urteil geht dann auch sehr deutlich auf den Kontext des Links ein)

Wer haftet, wenn in Foren Links zu illegalem Material, oder sogar KiPo-Bilder gepostet werden? Müssen Forenbetreiber sich jedes einzelne Posting unter Zuhilfenahme eines Rechtsbeistandes durchlesen, jedem Link und den Links auf den verlinkten Websites folgen um sicherzustellen, strafrechtlich nicht belangt zu werden?

14. Es gibt dezentrale Datensicherungskonzepte (sog. Cloud Hosting) bei denen jeder beteiligte User einen Teil seines Festplattenspeichers für die Speicherung der Daten eines anderen Users zur Verfügung stellt und im Gegenzug wiederum Festplattenplatz auf dem Rechner eines anderen Users erhält. Wer haftet, wenn da KiPo gespeichert wird? Der einzelne User hat nämlich keinen Einfluß auf die Daten der Anderen.

15. Wer haftet beim Austausch illegalen Materials über Peer-2-Peer-Netze?

16. Haften Suchmaschinenbetreiber, wenn über sie unmittelbar/mittelbare Verweise zu KiPo-Seiten auffindbar sind?

17. Haften Internetarchive, wenn über sie unmittelbar/mittelbare Verweise zu KiPo-Seiten auffindbar sind?

18. Was ist, wenn ich KiPo im Netz finde und der Polizei Meldung darüber erstatte? Habe ich mich dann strafbar gemacht weil ich, um herauszufinden ob es wirklich KiPo ist, mir die Sachen ja ansehen mußte?

19. Welche Möglichkeit haben Journalisten, zum Thema KiPo zu recherchieren, wenn allein die Suche nach solchem Material strafbar ist? Wie können die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse garantiert werden, wenn die Presse nur auf Material des BKA / öffentlicher Stellen zugreifen darf, aber keine Möglichkeit hat, die vom BKA / von öffentlichen Stellen stammenden Informationen zu verifizieren?

20. Ist das Benutzen anderer DNS-Server, als der die man automatisch von den Providern zugeweisen bekommt, schon als Umgehen der Zugangserschwerung anzusehen und setzt mich dem Verdacht des KiPo-Konsums aus?

21. Sollte die Zugangserschwernis nicht (nur) per DNS-Poisening, sondern auch per IP-Sperre umgesetzt werden, mache ich mich dann verdächtig/strafbar, wenn ich meinen Datenverkehr über VPN-Server (durch eine Tunnel) lenke?

22. Macht sich der Betreiber des VPN-Servers strafbar, wenn über seine Infrastruktur KiPo geleitet wird?

23. „So sollen bis zu 400 000 Zugriffe pro Tag verhindert werden.“
(www.morgenpost.de/printarchiv/titelseite/article1071518/Kinderpornografie_Provider_wollen_Seiten_sperren.html)

und

“Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) versicherte, die Daten würden nicht gespeichert. 'Aber die Strafverfolgungsbehörden können in Echtzeit zugreifen und können sehen, wer gerade versucht, eine solche Seite aufzurufen.' “
(www.abendblatt.de/daten/2009/04/23/1132859.html)

Über wieviel Personal verfügt das BKA eigentlich, um 400 000 Zugriffe am Tag überwachen zu können? Wie können diese 400 000 Zugriffe identifiziert werden ohne den Interverkehr der gesamten surfenden Bevölkerung zu überwachen?

24. Wird die Verschlüsselung des Datenverkehrs bzw. der Daten selbst künftig strafbar sein, weil das BKA verschlüsselte Daten nicht lesen kann?

25. Wer trägt die Kosten für die Überwachung? Der einzelne Kunde, „der Steuerzahler“?

26. Wo ist der Nachweis dafür, daß mit KiPo Umsätze in Millionenhöhe gemacht wird?

27. Wie, wann und durch wen wird die Wirksamkeit der Maßnahme überprüft werden?

28. Wenn Links auf KiPo strafbar sind, machen sich die ISP strafbar, wenn sie in den Besitz der BKA-Sperrliste gelangen, auf der Links zu KiPo enthalten sind?

29. „Hartnäckige Wiederholungstäter müssen mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen.“
(http://www.abendblatt.de/daten/2009/04/23/1132859.html)

Wie oft darf man denn auf der Stopseite landen, bevor man als hartnäckiger Wiederholungstäter gilt? Was ist, wenn das Material in einen iFrame eingebettet ist, der alle 2 Sekunden neu geladen wird?
...

Die Liste ließe sich bestimmt fortsetzen. Vielleicht solltet auch ihr eurem ISP und den zuständigen Abgeordneten (z.B. über www.abgeordnetenwatch.de oder auch durch Besuch im Wahlkreisbüro {nächste Woche ist sitzungsfrei}) solche Fragen stellen.

Denn daß Kindesmißbrauch ein Problem ist, steht zweifellos fest, das die Zugangserschwernis wirksam ist, ist hingegen fraglich. Wieso packt man das Problem nicht an der Wurzel und löscht entsprechende Webangebote, statt in die Freiheit unbescholtener Bürger einzugreifen und sie unter Generalverdacht zu stellen?

Ist das hier die Antwort?:
„Die von Gegnern des Vorhabens vielfach ins Feld geführte leichte Umgehungsmöglichkeit der 'Zugangserschwernis' wird damit noch einmal deutlich vor Augen geführt.

Zur Verteidigung gegen diese Kritik schreibt das Kabinett klipp und klar, dass 'die Vorschrift auf eine Handlungspflicht ausgerichtet ist, nicht auf einen Erfolg'.
(www.heise.de/newsticker/Kinderporno-Sperren-Provider-sollen-Nutzerzugriffe-loggen-duerfen--/meldung/136450)

Nochmal: Ich halte Kindesmißbrauch für ein abscheuliches Verbrechen. Ich befürworte offene Diskussionen über die Thematik und die Verfolgung der Täter, aber ich bin nicht bereit meine Grundrechte auf dem Altar politischer Karrieristen zu opfern. Heute werden die Zugangserschwernisse gegen KiPo eingesetzt, doch die Musikindustrie steht schon in den Startlöchern, um die Ausweitung der Sperren auf andere Gebiete zu fordern:
„Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie, hakte sich sogleich bei der Ministerin ein: „Der Vorstoß der Familienministerin zum Verbot von Kinderpornografie im Internet ist ein richtiges Signal. Es geht um gesellschaftlich gewünschte Regulierung im Internet, dazu gehört auch der Schutz des geistigen Eigentums.“ Das ist die mühsam verklausulierte Forderung, unliebsame P2P-Linkseiten auf die Sperrliste zu hieven.“
(www.heise.de/ct/Die-Argumente-fuer-Kinderporno-Sperren-laufen-ins-Leere--/artikel/135867)

Daß ausländische Glücksspielseiten ebenfalls gesperrt werden, steht indes nicht zu befürchten. Die Gründe werfen ein interessantes Licht auf die Glaubwürdigkeit der Frau von der Leyen:
„Nachdem im November letzten Jahres Vertreter der hessischen Landesregierung und der Staatlichen Bayrischen Lotterieverwaltung Vertreter der fünf größten Deutschen Zugangs Provider (sic!) davon überzeugen wollten auf freiwilliger Basis zukünftig Webseiten von ausländischen Glücksspielangeboten zu sperren, hat Ursula von der Leyen interveniert, aber aus anderen Gründen als bisher angenommen.
(...)
Die wirklichen Hintergründe für die Intervention von Frau von der Leyen werden klar, wenn man sich mit ihrem familiären Umfeld näher beschäftigt. So ist ein Bruder von Frau von der Leyen, Herr Hans-Holger Albrecht Vorstandsvorsitzender der Firma MTG (Modern Times Group), eines schwedischen Medienunternehmens,
(...)
In den letzten Jahren ist das Unternehmen nach diversen Umstrukturierungen verstärkt in einem neuen Bereich tätig geworden, dem Online-Glücksspiel. MTG erwarb Beteiligungen unter anderem an Bet24.com, einem maltesischen Online-Glücksspielanbieter, (...)“
(http://boocompany.com/index.cfm/content/story/id/15790/)

In meinen Augen besteht der beste Opferschutz in der Vorbeugung. Wenn das KiPo-Video im Netz steht, ist die Tat bereits geschehen, wer erst hier eingreift, handelt zu spät. Allerdings haben „Zugangserschwernisse“ einen größeren populistischen Wert und sind vermutlich kostengünstiger als die Stärkung und die Aufklärung potentieller Opfer und therapeutische Angebote für gefährdete Pädosexuelle. Kindesmißbrauch hat zwei Seiten: die des Opfers und die des Täters. Wirksame Prävention muß sich denn auch an beide Seiten wenden.

Sprecht mit euren ISP, redet mit euren Abgeordneten, redet mit euren Verwandten, Bekannten, Arbeitskollegen, eurer Familie über dieses Thema, denn wenn wir nichts gegen die Zensur des Internets unternehmen, dann unternimmt niemand etwas.

Holger

Dazu Christian nur noch kurz:


  • Wer Wenn nicht Wir?

  • Wo Wenn nicht Hier?

  • Wann wenn nicht Jetzt?