Dunkelfeld-Studie

*von Christian Bahls*

Zwischen dem 20. Oktober 2009 und dem 6. März 2010 hat MOGiS e.V. im
Internet unter der Adresse http://dunkelfeld-befragung.de/ eine
Befragung zum Thema sexueller Missbrauch durchgeführt.

Die Auswertung der Umfrage ist noch nicht abgeschlossen. Sollten Sie
an einer solchen Interesse haben und die fachliche Eignung besitzen,
dann wären wir sehr an einer Zusammenarbeit zur fachgerechten
Auswertung der Befragung interessiert.

Andererseits sehen wir diese Befragung aber auch als eine Anregung an die
wissenschaftliche Forschung bei der Betrachtung sexuellen Missbrauchs
in Zukunft weniger einen kriminologischen und auf den Täter konzentrierten und
vielmehr einen psychologischen und mehr auf die Opfer gerichteten
Blickwinkel einzunehmen.

Sollten Sie Ergebnisse dieser Umfrage verwenden wollen, so bitten wir um die Nennung des Vereinsnamens als "MOGiS e.V. -- Eine Stimme für Betroffene" mit Verweis auf diese Seite.

Navigation: Die Täter,
Die Tat,
Die Aufdeckung,
Die Folgen,
Das Beziehungsleben.

Insgesamt nahmen 502 Personen an der Befragung teil, davon mehr
als 80% der Befragten vor dem 31. Dezember und damit vor der
aktuellen Missbrauchsdebatte.

Unter den 502 Befragten sind die Geschlechter wie folgt verteilt:
46% (233) der Teilnehmer waren Frauen und 53% (265) Männer.
4 Teilnehmer machten keine Angabe zum eigenen Geschlecht.

Der Anteil der Teilnehmer, die sich selbst als Betroffene von
Misshandlung und sexuellem Missbrauch erfahren war 42% (211 Personen),
Davon waren 69% (145) Frauen und 31% (65) Männer. Ein Teilnehmer machte
keine Angabe zum Geschlecht.

Von den 191 Befragten, die das Geschlecht des Täters oder der Täter
angaben, wurden in 155 (81%) Fällen Männer, in 14 (7%) Fällen Frauen
und in 22 (12%) Fällen Männer und Frauen als Täter angegeben. In 93%
(177) der Fälle war also ein Mann und in 19% (36) der Fälle eine Frau
beteiligt.

In den folgenden Betrachtungen wollen wir die Betrachtung auf die in
den Paragraphen §176 (sexueller Kindesmissbrauch) und §176a (schwerer
sexueller Kindesmissbrauch) definierten Handlungen beschränken, solche
Taten wurden in der Befragung von 149 Teilnehmern dokumentiert, davon
waren 72% (=107) Frauen und 28% (=41) Männer, eine Person
machte keine Angabe zum eigenen Geschlecht.

Die Täter

Als Täter wurden in diesem Zusammenhang zu 82% (119 von 145) Männer, zu 5%
(7 von 145) Frauen und zu 13% (19 von 145) Männer und Frauen genannt. Weitere 4
Teilnehmer machten in diesem Zusammenhang keine Angaben zum Geschlecht
des Täters/der Täterin. Die Befragten gaben also zu 95% männliche und
zu 18% weibliche Täter an.

Weibliche Täter wurden vermehrt von männlichen Betroffenen sexuellen Missbrauchs angegeben.
Während nur 11% (12) der betroffenen Frauen weibliche Täter angaben, sind es bei
den Männern 34% (14) der Betroffenen, die eine Frau als (Mit-)Täter
benannten.

Die Befragung ging auch auf die Beziehung der Opfer zum Täter
ein. Diese Frage beantworteten 142 Teilnehmer.

Als größte Tätergruppe wurde mit 30% (43 Betroffene) die eigenen
Eltern angegeben. Weitere Tätergruppen aus dem Nahbereich sind die
Geschwister der Eltern mit 13% (19 Betroffene), die Großeltern mit 8%
(11 Betroffene) und andere Verwandte mit 11% (15 Betroffene), zudem
wurde in 12 Fällen angegeben (8%), dass die eigenen Geschwister die
Tat verübt hatten.

Zu jeweils 19% (27 Betroffene) wurden Bekannte der Familie und eigene
Freunde des Kindes als Täter angegeben. Freunde der Familie waren in
12% (17) der Fälle beteiligt. Eigene Bekannte des Kindes wurden in 11%
(16) der Fälle als Täter mit angegeben.

Betreuer (Lehrer/Erzieher/Trainer) wurde nur in 11% (15) der Fälle
als Täter angegeben. Fremde wurden in 17% (24) der Fälle genannt.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang ein gewisser
Geschlechterunterschied. Mädchen scheinen überdurchschnittlich häufig
durch Großeltern (10% der betroffenen Mädchen im Vergleich zu 2% der betroffenen Jungen) und Bekannte der Familie
(21% statt 15% der männlichen Betroffenen) missbraucht zu werden.

Jungen sind anscheinend überdurchschnittlich häufig durch eigene
Freunde (27% im Vergleich zu 16% der weiblichen Betroffenen) und Bekannte (15%
statt 10% der weiblichen Betroffenen) gefährdet zu sein. Auch ist eine
leichte Abweichung beim Missbrauch durch die eigenen Eltern zu
erkennen, 37% (15) der Jungen gaben diesen an, im Vergleich dazu gaben dies 28% der
weiblichen Betroffenen an.

Die Tat

Die Schwere der Tat wurde in der Umfrage auch erhoben. Von den 107
weiblichen Betroffenen gaben 34% (36) an penetriert worden zu sein,
von den 41 männlichen Betroffenen gaben dies 24% (10) an.

Besonders schambesetzt ist es für Opfer sexuelle Handlungen an sich
selber oder an anderen vorgenommen zu haben, dies gaben 55% (82) der
Betroffenen an.

Eine weitere Belastung ist es für Betroffene, wenn von solchen
sexuellen Handlungen Aufnahmen existieren (unter anderem auch, da
Außenstehende diese unter Umständen nicht sofort als Missbrauch
erkennen und eine Freiwilligkeit und damit eine Mitschuld unterstellen
könnten). Ihr Wissen um die Existenz von Aufnahmen gaben 13 Personen
(=10% von 129 Antworten) an. Unsicher waren sich 6 Personen (=5%).

Auf die Frage ob sich die Betroffenen mitschuldig fühlen, antworteten
31% (11) der Männer und 63% (65) der Frauen damit, dass sie sich
mitschuldig fühlen, oder alleine Schuld haben (in diesem Zusammenhang
sei nochmals deutlich erwähnt, dass sich dieser Teil der Ergebnisse
auf sexuellen Kindesmissbrauch, also sexuelle Handlungen an unter
14-jährigen bezieht).

Die Aufdeckung

Aufgedeckt wurde der sexuelle Missbrauch zu 75% (48 von 64) von den
Betroffenen selbst. Weitere 10% der Fälle wurden durch die Eltern
aufgedeckt. In 4 Fällen (6%) waren Fremde an der Aufdeckung
beteiligt. Eine Aufdeckung durch Verwandte oder Vertrauenspersonen(wie
Lehrer) gaben jeweils nur 2 (3%) der Betroffenen an. Ein sexueller
Missbrauch wurde durch Geschwister aufgedeckt.

Ein wichtiger Punkt für Betroffene sexuellen Missbrauchs ist die
Aufarbeitung. 68% (54 von 79) der Teilnehmer gaben an, dass Ihnen
nicht geglaubt wurde oder die Tat nicht weiter verfolgt wurde. Diese
Tendenz zeigt sich auch in den Aussagen der Teilnehmer am
Ende der Umfrage: "wenn mir nur jemand zugehört hätte", "wenn mir nur
jemand geglaubt hätte", "wenn nur jemand gehandelt hätte".

Es reicht also nicht, zu fordern, dass Betroffene über Ihren
Missbrauch sprechen - das tun sie bereits - Ihnen muss aber auch
angemessen zugehört werden.

Auf die Frage der Verfolgung der Tat antworteten 9% (7) der Befragten
dass die Tat "im kleinen Kreis geregelt" (also verdeckt) wurde. In 23%
(18) der Fälle wurde Anzeige erstattet, davon brachten es 13% (10) der
Fälle bis zum Strafverfahren. Eine Verurteilung fand in 9% (7) der
Fälle statt.

Die Folgen

Die Teilnehmer wurden auch nach von ihnen wahrgenommenen
Folgen des Missbrauchs befragt.

Die in der Umfrage am häufigsten beschriebene Beeinträchtigung des
Alltags ist jene durch Depressivität und/oder Traurigkeit. 77% der
Betroffenen (73% der betroffenen Männer und 79% der betroffenen
Frauen) beschreiben dies als Beeinträchtigung ihres Alltags. An ihrer
Verzweiflung leiden 44% der Betroffenen (29% der männlichen und 50%
weiblichen).

72% der betroffenen Frauen und 46% der betroffenen Männer leiden unter
Angst und/oder Ängsten im Alltag (zusammen 65% der Betroffenen).
Unter Panikattacken leiden 43% der weiblichen und 15% der männlichen
Betroffenen (insgesamt 36% der Betroffenen).

Unter starken Stimmungsschwankungen leiden nach eigenen Angaben 69%
der betroffenen Frauen und 56% der betroffenen Männer (insgesamt 66%
der Betroffenen).

Unter ihrer geringen Selbstachtung leiden 63% der befragten weiblichen
und 44% der befragten männlichen Betroffenen (zusammen 57% der
befragten Betroffenen).

Eine starke Verunsicherung über die eigenen Gefühle ('Wie geht es
mir?') beschrieben 62% der weiblichen und 37% der männlichen
Betroffenen (insgesamt 55% der befragten Betroffenen).

50% der befragten Betroffenen beschreiben das Eindringen von Bildern
in den Alltag. Dies betrifft vor allem 63% der weiblichen Betroffenen
und 20% der männlichen Betroffenen. Bis in die Träume dringen diese
Bilder bei 58% der Frauen und 12% der Männer (zusammen 46% der
Betroffenen).

48% der Betroffenen gaben Selbstverletzendes Verhalten ("Ritzen/...")
an. Dieses Verhalten wurde vor allem von 61% der betroffenen Frauen
und 20% der betroffenen Männer angegeben.

47% der Betroffenen gaben ein Leiden unter ihrem Selbsthass an. Dies
gaben wiederum vor allem 56% der befragten weiblichen Betroffenen und
24% der befragten männlichen Betroffenen an.

43% der Betroffenen fühlen sich zerbrochen/zersplittert/zerfasert und
nicht ganz in sich. Sich selber als dritte Person wahrnehmend
beschreiben sich 39% der Betroffenen (34% der männlichen und 41% der
weiblichen).

Eine Unfähigkeit regelmäßig oder Vollzeit zu arbeiten gaben 32% der
Betroffenen an (24% der betroffenen Männer und 35% der betroffenen
Frauen). Ein Versagen in der Schule gaben 18% der Betroffenen an.

Einen erhöhten Alkoholkonsum gaben 28% der Betroffenen an. Dies sind
vor allem 39% der männlichen und nur 23% der weiblichen
Betroffenen. Den übermäßigen Konsum von Drogen gaben 16% der
Betroffenen an. Auch hier sind es mit 24% vor allem männliche und nur
13% der weiblichen Betroffenen.

Beeinträchtigung durch Übergewicht wurde von 43% der weiblichen und
22% der männlichen Betroffenen angegeben (insgesamt 37% der
teilnehmenden Betroffenen). Untergewicht von 12% der männlichen und
19% der weiblichen Betroffenen (insgesamt 17% der teilnehmenden
Betroffenen).

Bulimie (Fress-Brech-Sucht) wurde in der Umfrage ausschließlich von 16%
der weiblichen Betroffenen angegeben. Anorexie ('Ich bin immer noch
nicht schlank genug') wurde von 14% der weiblichen und 5% der
männlichen Betroffenen angegeben.

Eine Diskrepanz zwischen dem eigenen und fremden Körpergefühl
("Körperempfinden ('Bin hässlich/dick') entspricht nicht dem, was
Andere sagen") gaben 67% der betroffenen Frauen und 22% der
betroffenen Männer an (insgesamt 54% der Betroffenen).

Unter Zwangsgedanken leiden 28% der Betroffenen. Eine (irrationale)
Angst, die manche Betroffenen mit sich tragen, ist die, selber Täter
zu werden (werden zu müssen). Dies wird unter anderem dadurch
befördert, das in der Öffentlichkeit eigene Betroffenheit mit späterer
Täterschaft gleichgesetzt wird.

In der vorliegenden Umfrage betrifft diese Angst Täter werden zu
können, 29% der männlichen und 15% der weiblichen Betroffenen. Bei
Nichtbetroffenen ist dieses Verhältnis genau umgekehrt (3% bei Männern
und 7% bei Frauen), wobei nur ein kleinerer Teil der nichtbetroffenen
Teilnehmer diesen Frageblock beantwortet hat.

In diesem Zusammenhang könnte es sinnvoll und wichtig sein, betroffene
Jungen und Männer nicht als zukünftige Täter, sondern als vollwertige
Opfer wahrzunehmen und sie auch so zu behandeln.

Das Gefühl selber Täter zu sein beschrieben 7% (3) der männlichen
Betroffenen und 9% (10) der weiblichen Betroffenen. Als Täter von
körperlicher und/oder sexueller Gewalt beschrieben sich 5% (2) der
männlichen Betroffenen und 4% (4) der weiblichen Betroffenen.

40% der Betroffenen (22% der männlichen und 45% der weiblichen)
beschreiben ein Gefühl des Verfolgtseins, 13% (15% der Frauen und 10%
der Männer) beschreiben das "Hören von Stimmen", 20% fühlen sich wie
ferngesteuert.

Das Beziehungsleben

131 Betroffene beantworteten Fragen nach Störungen Ihres
Beziehungslebens. Ebenso taten dies 65 Nichtbetroffene.

Ein Leiden unter einem zwiespältigen Wunsch nach Nähe und Distanz
dokumentierten 27% (36) der Betroffenen ein starkes Bedürfnis nach
Nähe und Distanz, von den Nichtbetroffenen gaben dies nur 17% (11)
Personen an, das Geschlecht spielte in diesem Zusammenhang keine
Rolle, 29% der Männer und 27% der Frauen gaben dies an.

Auffallend ist, dass betroffene Frauen eher angaben, dass Ihre
Beziehungen unter ihrem Bedürfnis nach Distanz litten (50% statt 32%
der nichtbetroffenen Frauen) während bei Männern eher ein verstärktes
Bedürfnis nach Nähe (56% statt 40% der nichtbetroffenen Männer) das
Beziehungsleben zu belasten scheint.

Einer der Wirkungen sexuellen Missbrauch ist die (eventuelle
Hyper-)Sexualisierung der betroffenen Kinder. Dementsprechend gaben
19% der Betroffenen (16% der Frauen und 26% der Männer) an, dass Ihr
Beziehungsleben unter übermäßiger sexueller Aktivität leidet. Bei den
Nichtbetroffenen waren dies nur etwa 5%.

Die Belastung einer Beziehung durch die Unfähigkeit befriedigenden Sex
zu erleben gaben 39% der Betroffenen und 18% der Nichtbetroffenen
an. Dieses Symptom betrifft vor allem Frauen (47% statt 21% der
nichtbetroffenen Frauen). Männer betrifft dies nur zu 14% (Betroffene
und Nichtbetroffene).

Die Belastung Ihrer Beziehungen durch Schwierigkeiten bzw die
Unmöglichkeit sexuelle Kontakte zuzulassen dokumentierten 33% der
Betroffenen (21% der Männer, 38% der Frauen) und 17% der
Nichtbetroffenen (9% der Männer, 29% der Frauen).

Für männliche Betroffene scheint es schwieriger zu sein, eine
Partnerbeziehung aufzubauen und zu erhalten, dies gaben 59% der
männlichen Betroffenen (im Gegensatz zu 37% der Nichtbetroffenen). Bei
den Frauen gaben 35.7% der Nichtbetroffenen und 35.4% der Betroffenen
an, unter solchen Problemen zu leiden.

Betroffene Frauen (22%) wie auch Männer (21%) geben an, dass sie unter
der Unfähigkeit Beziehungen oder Freundschaften zu Männern aufzubauen
leiden, bei den Nichtbetroffenen sind dies jeweils nur 11%. Dies wird
sich vor allem darauf zurückführen lassen, dass ein Großteil der Täter
männlich sind.

Erstaunlichweise ist aber auch die Beziehung zu Frauen
problematischer, dies vor allem bei weiblichen Betroffenen, diese
berichten nämlich in 15% der Fälle von der Unfähigkeit Beziehungen
oder Freundschaften zu Frauen aufzubauen, nur 4% der nicht betroffenen
Frauen gaben diese Schwierigkeiten an. Bei männlichen Betroffenen ist
hier nur eine leichte Erhöhung (18% statt 14% der Nichtbetroffenen) zu
sehen.

Von einem in's Jugendalter (14-16) fortgesetzen Missbrauch berichten
26% der Betroffenen (27% der weiblichen und 20% der männlichen). In
einer Opferrolle ("Ich erlebe immer wieder sexuelle Übergriffe")
fühlen sich 7% der betroffenen Männer und 23% der betroffenen Frauen
(insgesamt 19%). Fortgesetzte missbräuchliche Beziehungen gaben
20% der weiblichen Betroffenen (statt 4%) und 6% der männlichen
Betroffenen (statt 0%) als Belastung für Ihr Beziehungsleben an.